Sie wollen der Politik und dem Verband ein Wochenende lang Impulse geben
Für den Katastrophenschutz-Kongress in Weiden haben Dieter Hauenstein, Volker Andorfer und Petra Luber zusammen mit ihrem Orga-Team erneut riesigen Arbeitsaufwand auf sich genommen. Nach langer Corona-Pause will das Führungstrio der ostbayerischen BRK-Bereitschaften ab Freitag Aufbruchstimmung verbreiten, an den richtigen Stellen den Finger in die Wunde legen und den Katastrophenschutz voranbringen. „Wenn Förderprogramme nicht flächendeckend durchgezogen und Mittel nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt werden, fühlt sich das Ehrenamt irgendwann vernachlässigt": Aussagen wie diese treffen die drei Funktionäre in einem Interview, das BRK-Pressesprecher Frank Betthausen vor der Großveranstaltung mit ihnen geführt hat.
Von Frank Betthausen
Dieter, kannst Du das Wort K-Schutz-Kongress überhaupt noch hören?
Dieter Hauenstein (lacht): Ja, das kann ich schon. Auch wenn der Aufwand enorm ist. Kurz bevor dieser Katastrophenschutz-Kongress mit seinem Fachkongress Rettungsdienst final wird und wir mit der Planung auf die Zielgerade einbiegen, kommen schon immer wieder einmal Gedanken auf, ob wir das noch einmal auf die Beine stellen sollten. Aber das hält nicht lange an. Wenn er dann gelaufen ist, ist nach dem Kongress sofort wieder vor dem Kongress!
„Der Kongress ist zum einen eine sehr schöne, gute Form, sich fortzubilden. Zum anderen ist er eine Gelegenheit, viele Bekannte und Freunde wiederzutreffen, die ein gleiches Interessenumfeld haben.“ Volker Andorfer, 1. Stellvertretender Bezirksbereitschaftsleiter
Und diesmal ist es ja wirklich ein besonderer Termin nach der langen Corona-Pause!
Dieter Hauenstein: Das ist richtig. Es freut uns unwahrscheinlich, dass wir die Veranstaltung endlich wieder anbieten können und dass der Zuspruch auch sehr gut ist. Aufgrund der Erfahrungen der letzten drei Jahre werden die Themen entsprechend vielseitig sein. Egal, ob es die Pandemie war, das Hochwasser im Ahrtal und in Berchtesgaden oder der bewaffnete Konflikt in der Ukraine: Wir waren als Rotes Kreuz in nie dagewesener Weise beschäftigt!
Was bedeutet dieser Katastrophenschutz-Kongress für Dich, Volker?
Volker Andorfer: Der Kongress ist zum einen eine sehr schöne, gute Form, sich fortzubilden. Zum anderen ist er eine Gelegenheit, viele Bekannte und Freunde wiederzutreffen, die ein gleiches Interessenumfeld haben. Gerade nach der Corona-Pause bietet er außerdem eine wunderbare Möglichkeit, sich über Erfahrungen in dieser Zeit auszutauschen und daraus neue Erkenntnisse für den eigenen Arbeits- und Aufgabenbereich zu gewinnen. Ganz abgesehen davon, macht es mir persönlich sehr, sehr viel Spaß, im Orga-Team mitzuarbeiten.
Petra, wenn Du die vergangenen drei Jahre Revue passieren lässt: Wo siehst Du die Bereitschaften stehen?
Petra Luber: Auf der einen Seite herrscht große Aufbruchstimmung mit ganz vielen Aktiven, die motiviert sagen, es muss wieder vorangehen. Die sich freuen, dass wieder normale Dienste und ein gesellschaftliches Leben möglich sind! Auf der anderen Seite nehmen wir das Gegenteil wahr: Mitglieder, die resigniert haben und frustriert feststellen, dass ihnen die Leute weggelaufen sind.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob das nur an der Pandemie liegt... Phänomene wie dieses hatten wir immer wieder schon einmal.
Wo siehst Du im Moment die größten Herausforderungen für die Bereitschaften, Volker?
Volker Andorfer: Ich denke, eine der größten Aufgaben ist es, Nachwuchs zu generieren, gleichzeitig aber auch die Leute mitzunehmen, die durch die Corona-Pause müde geworden sind. Wir werden es sicherlich nicht schaffen, alle wieder zurückzuholen. Leider ist es so, dass sich einige von denen, die vor der Pandemie schon eine Schwächephase hatten, gesagt haben: Es gibt auch ein Leben ohne das Rote Kreuz! Aber Gott sei Dank ist das nur ein relativ kleiner Teil. Wenn auch einer, den wir nicht unterschätzen dürfen!
Das Motto des diesjährigen Kongresses lautet „Katastrophenschutz – Realität und Zukunft“. Dieter, wie bewertest Du die Realität und wo liegt die Zukunft?
Dieter Hauenstein: Die Realität haben wir mit den Szenarien der letzten drei Jahre erlebt. Szenarien, die undenkbar waren und plötzlich mit aller Macht ins reale Leben hineingelaufen sind! Wir mussten lernen, mit völlig neuen Situationen umzugehen und haben versucht, aus dem, was wir zu diesem Zeitpunkt wussten, immer das Beste für die Menschen und unsere Einsatzkräfte zu machen. Wir haben aber auch für die Zukunft feststellen müssen, dass wir auf solche Szenarien nicht vorbereitet waren und dass wir hier neue Wege gehen müssen.
Letztlich ist das jedoch, zumindest wenn es um den Kongress geht, nichts Neues. Denn der ist ja einmal aus genau dem Grund entstanden, dass man einen Zustand erreicht hatte, der zur klaren Feststellung führte: So kann man nicht weiterarbeiten. Der Kongress war letztlich immer schon eine Beschreibung der aktuellen Realitäten – und zwar nicht in dem Sinne, dass dort einfach nur Erfahrungsberichte heruntergeleiert worden sind.
Dort sollten vielmehr Anstöße für die Zukunft gegeben und Forderungen an den Freistaat Bayern, den Bund und die Verantwortlichen der Hilfsorganisationen formuliert werden. Der Kongress soll bis heute Impulse liefern, Neuentwicklungen Raum geben und unseren Helfern Perspektiven zeigen.
„Wir holen, wenn ich an die Zeit des Kalten Krieges zurückdenke, einiges fast schon wieder aus der Mottenkiste hervor und müssen es halt neu denken – in unserer Zeit!“ Petra Luber, 2. Stellvertretende Bezirksbereitschaftsleiterin
Wobei vieles ja auch immer gar nicht so neu ist…
Petra Luber: Ja! Wir holen, wenn ich an die Zeit des Kalten Krieges zurückdenke, einiges fast schon wieder aus der Mottenkiste hervor und müssen es halt neu denken – in unserer Zeit! Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs sind all diese Dinge, über die wir im Jahr 2023 wieder intensiv sprechen, aktuell gewesen und wie selbstverständlich praktiziert worden – beispielsweise die Resilienz der Bevölkerung. Selbstschutz war damals noch ein Riesenthema! Vieles, was in den 1980er Jahren im Katastrophenschutz hochgehalten wurde, ist mit der Wende eingestellt worden. Egal, ob das vom Bund oder vom Land war.
Volker Andorfer: Und wenn man noch weiter zurückschaut in die Vergangenheit, muss man sich an dieser Stelle auch vor Augen halten, dass der gleiche Fehler schon einmal passiert ist. Als man Ende der 1960er, 1970er Jahre – damals hieß das Ganze noch Luftschutzhilfsdienst – groß umstrukturiert hat auf den Katastrophenschutz in seiner alten Form, ist auch erst einmal alles eingestampft worden, um daraus dann etwas Neues aufzubauen. Ab 1989/1990 ist man dann einen ähnlichen fatalen Weg gegangen und hat die Strukturen erneut mehr oder weniger komplett abgebaut – nur um in den vergangenen Jahren zu erkennen, dass es ein Fehler war.
Dieter, wo zieht Ihr eure Lehren aus diesem Auf und Ab im Katastrophenschutz und aus der Pandemie?
Dieter Hauenstein: Ein großes Anliegen – auch bei unserem Kongress – werden die regionalen Materialvorhaltungen sein, die nicht in der Fläche da sind, wie es wünschenswert wäre. Eine unserer Forderungen ist die zentrale Vorhaltung gewisser Materialien. Und wir reden hier nicht nur von der staatlichen Seite! Auch wir als Hilfsorganisation müssen unseren Anteil leisten. Wir sind eine nationale Hilfsgesellschaft – und die ist unabhängig! Auch vom Staat!
„Das Ehrenamt sollte man daher auch entsprechend fördern und ausstatten, damit es leistungsfähig bleibt. Es ist unsere große Stärke!“ Dieter Hauenstein, Bezirksbereitschaftsleiter
Was für mich eines der Statements überhaupt ist: In Deutschland und Österreich ist der Katastrophenschutz auf dem Ehrenamt aufgebaut – und nicht wie in anderen Ländern militärisch oder hauptberuflich. Dieses Ehrenamt sollte man daher auch entsprechend fördern und ausstatten, damit es leistungsfähig bleibt. Es ist unsere große Stärke!
Volker Andorfer: Ich kann Dieter nur beipflichten. Wir haben als Organisation, als Rotes Kreuz, definitiv auch unseren Beitrag zu leisten.
Wir haben die Verpflichtung, von unserer Seite her die Voraussetzungen zu schaffen und Vorhaltungen für den Einsatzfall zu treffen.
Aber auf der anderen Seite ist es teilweise schon erschütternd, manche Debatten mitzuerleben. Wenn man bedenkt, dass auf Bundesebene letztes Jahr beispielsweise über einen Abbau der Fördermittel für den Katastrophenschutz diskutiert wurde – und das nach den Erfahrungen, die wir mit der Pandemie gemacht haben!
Auch im Freistaat Bayern haben sich die entsprechenden Aufbauprogramme immens verzögert – teils über etliche Jahre hinaus. Dabei ist es durchaus so: Wenn Förderprogramme nicht flächendeckend durchgezogen und Mittel nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt werden, fühlt sich das Ehrenamt irgendwann vernachlässigt.
Was erhofft Ihr euch vor diesem Hintergrund vom Katastrophenschutz-Kongress?
Dieter Hauenstein: Ich wünsche mir, dass wir in Weiden wieder einmal Ideen aus den Hilfsorganisationen heraus entwickeln und präsentieren können. Dass wir zu Diskussionen anregen innerhalb der großen Helferschar, aber auch mit der Politik ins Gespräch kommen!
Volker Andorfer: Ich hoffe auch, dass wir den Vertretern aus der Politik entsprechende Impulse geben können, um den Katastrophenschutz – in die Zukunft gerichtet – weiter voranzubringen!
Petra Luber: Ich hoffe ebenfalls, dass wir Impulsgeber sein können – in mehrere Richtungen! Einmal natürlich, wie erwähnt, in Richtung Politik. Zum anderen aber auch in den eigenen Verband hinein! Es darf nicht nur die Politik als Förderer dastehen. Auch wir müssen uns als Deutsches und Bayerisches Rotes am eigenen Schlips ziehen und unsere Hausaufgaben machen. Ganz nebenbei freue ich mich sehr auf das „Come Together“, das Wiedersehen – im realen Leben und nicht nur virtuell!