"Ohne sie hätten wir einpacken können"
Anfang November sorgte ein 27-Jähriger mit seinen Messerattacken in einem ICE für einen Großeinsatz in Seubersdorf. Für das BRK in Ostbayern war es eine weitere Bewährungsprobe. Dass auch sie gemeistert werden konnte, ist für Landesbereitschaftsleiter Dieter Hauenstein vor allem einer Tatsache geschuldet: „Wir konnten auf unsere Ehrenamtlichen bauen!“ Organisatorischer Einsatzleiter Christian Weiß lässt den fordernden Samstag Revue passieren, an dem 110 BRK-Aktive mit 43 Fahrzeugen ausrückten.
Von Frank Betthausen
Regensburg/Seubersdorf. Das schwere Zugunglück im tschechischen Milavče, die Vermisstensuche nach der kleinen Julia am Čerchov, die Messerattacken in einem ICE auf der Bahnstrecke zwischen Regensburg und Nürnberg: Das durch Corona ohnehin fordernde Jahr 2021 hat dem Bayerischen Roten Kreuz in Ostbayern in den zurückliegenden Wochen einige schlagzeilenträchtige Einsatzlagen beschert.
„Unter der Woche und während der Arbeitszeit hätte es auch nur unwesentlich länger gedauert, diese Präsenz zu zeigen.“ Landesbereitschaftsleiter Dieter Hauenstein
Dass sie alle gemeistert werden konnten, ist für Landes- und Bezirksbereitschaftsleiter Dieter Hauenstein vor allem einer Tatsache geschuldet: „Wir konnten zu jeder Zeit auf unsere ehrenamtlichen Strukturen bauen!“
So entschlossen, wie Hauenstein die Aussage tätigt, so überzeugt unterschreibt Christian Weiß den Satz. Vor rund zwei Wochen war er stundenlang als Organisatorischer Einsatzleiter in Seubersdorf gefordert. Dort hatte der Schnellzug aus Passau gestoppt, in dem ein 27-Jähriger mit einer Stichwaffe Fahrgäste angegriffen und vier Personen zum Teil schwer verletzt hatte.
Am Bahnhof der 5000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Neumarkt sorgten die Geschehnisse für einen Großeinsatz von Polizei- und Rettungskräften.
Die Aufarbeitung dauert noch immer an
Allein 110 BRK-Aktive mit 43 Fahrzeugen waren an dem Samstag gefordert, dessen polizeiliche Aufarbeitung immer noch andauert und der weiter bundesweit für Schlagzeilen sorgt. Sage und schreibe 100 der Rot-Kreuz-Kräfte stammten aus dem Ehrenamt. „Ohne sie hätten wir einpacken können“, würdigt Christian Weiß ihr Engagement.
Dieter Hauenstein ergänzt: „Das BRK hat zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen bei großen Einsatzlagen im ostbayerischen Raum auf sein Aufwuchssystem vertrauen können. Das stimmt mich nicht nur zufrieden, es macht mich auch ein Stück weit stolz.“
Und selbst wenn die Ereignisse an einem Wochenende gespielt haben und die Leute dadurch schneller greifbar waren: „Unter der Woche und während der Arbeitszeit hätte es auch nur unwesentlich länger gedauert, diese Präsenz zu zeigen“, sind sich Weiß und Hauenstein sicher.
Hauptaufgabe der BRK-Einheiten war es in Seubersdorf, die Verletzten zu versorgen, vor allem aber, die rund 200 Fahrgäste aus dem ICE nach ihrer Befragung gemeinsam mit der Polizei zu betreuen. „Das war keine leichte Lage“, erinnert sich Weiß, der in diesen Tagen die Einsatznachbereitung abgeschlossen hat. Denn: Der Zug wurde abteilweise geräumt. Eine ganze Reihe an Personen musste wegen der zeitintensiven Polizeiarbeit sehr lang in den Waggons warten.
Damit war nicht auszuschließen, dass Reisende – erst recht nach dem Erlebten – in einen psychischen Ausnahmezustand geraten und medizinische Hilfe benötigen.
Den Betroffenen stand außerdem ein etwa 15-köpfiges Kriseninterventionsteam aus Mitarbeitern des BRK, des Hospizvereins Neumarkt und der Polizei-Betreuungsgruppe zur Seite.
„Es herrschte den gesamten Tag über gespannte Ruhe“, beschreibt Weiß in seiner Rückschau das Stimmungsbild. Anfangs sei die Lage diffus gewesen. „Für uns war auf der Anfahrt noch nicht klar, dass der Täter bereits gefasst ist“, sagt der 39-Jährige, der als Rettungssanitäter in der BRK-Rettungswache in Neumarkt arbeitet.
Nach dem ersten Alarm gegen 9 Uhr, als die Stichworte „Messer“ und „Zug“ gefallen waren, folgte für ihn um 9.55 Uhr die Anforderung als Organisatorischer Einsatzleiter – gemeinsam mit dem Leitenden Notarzt Karl Ulrich Kratzer.
Schnell zusätzliche Kräfte angefordert
Nachdem anfangs nur ein Rettungswagen, ein Notarzt und der nachgeforderte Einsatzleiter Rettungsdienst vor Ort gewesen waren, wurden schnell zusätzliche BRK-Kräfte nach Seubersdorf beordert, als sich das Szenario auswuchs – angefangen von der Sanitätseinsatzleitung bis zur Schnelleinsatzgruppe Behandlung.
Am Ende – die Anfahrt am Morgen gestaltete sich wegen des dichten Nebels mit Sichtweiten unter 50 Metern schwierig – waren Einheiten aus Regensburg, Amberg-Sulzbach und Allersberg (Landkreis Roth) am Bahnhof präsent.
Das Gros der Mitarbeiter stellte der Kreisverband Neumarkt. Einen Notarztwagen, drei Notarzteinsatzfahrzeuge, 13 Rettungswagen, elf Krankentransportwagen, zehn Katastrophenschutzfahrzeuge und fünf sonstige Fahrzeuge weist die Statistik von Weiß für den 6. November aus.
„Alle Fahrzeuge blieben bis zur Leerung des Zuges vor Ort“, sagt er. Die letzten BRK-Kräfte rückten erst kurz nach 19 Uhr wieder ab.
Bereits auf der Anfahrt hatte sich der Organisatorische Einsatzleiter Gedanken darüber gemacht, wie es gelingen könnte, die große Zahl an Zugfahrgästen im Warmen unterzubringen. Zu dieser Zeit war noch von 300 bis 400 Personen die Rede gewesen.
„Es herrschte den gesamten Tag über gespannte Ruhe." Organisatorischer Einsatzleiter Christian Weiß
Als Weiß an der Einsatzstelle eintraf, hatten die Feuerwehr-Verantwortlichen und der Einsatzleiter Rettungsdienst jedoch beste Vorarbeit geleistet und mit dem Besitzer des Gebäudes abgeklärt, dass eine leerstehende Gaststätte direkt neben dem Bahnhof als Unterbringungsort genutzt werden durfte.
Bürgermeister Eduard Meier stellte zusätzlich unbürokratisch die neue Bürgerhalle an der Schule zur Verfügung. Wären kurzfristig Angehörige von Reisenden in der Gemeinde eingetroffen, hätte das BRK sie dort betreut.
Die unkomplizierte Zusammenarbeit aller Einsatzkräfte hebt Weiß in seiner Bilanz besonders hervor. Die Kooperation mit der Feuerwehr und der Polizei sei hervorragend gewesen. Auch die BRK-Teams hätten Hand in Hand gearbeitet und sich perfekt ergänzt.
Trotz der langen Einsatzdauer – die erforderliche Befragung der Fahrgäste durch die Polizei beanspruchte viel Zeit – hätten sich alle BRK-Aktiven vorbildlich verhalten; bis hin zur Maskendisziplin. „Corona war an diesem Tag durchaus ein heikles Thema, das man nicht außer Acht lassen durfte“, erläutert Weiß. „Es waren doch sehr viele Menschen auf einem Fleck.“
Um dem zu begegnen, hielten die BRK-Mitarbeiter eines der vier errichteten Zelte „für Corona-Auffälligkeiten und Schnelltests vor“, wie es der 39-Jährige formuliert. Später nutzte die Polizei die Unterkunft für Zeugen-Befragungen.
Essen in Thermoboxen angeliefert
In den drei weiteren Zelten – Weiß berichtet von insgesamt fünf Einsatzabschnitten mit fünf Abschnittsleitern – fanden sich die Behandlungsplätze. Außerdem standen sie für die Routine-Durchsuchungen der Zugreisenden und Besprechungen zur Verfügung.
Ganze Arbeit leisteten an diesem Tag auch die Mitglieder der Schnelleinsatzgruppe Betreuung – mit Unterstützung der Wasserwacht Parsberg. In der Küche der BRK-Schule in Hohenfels bereiteten sie 280 Essen – warme wie kalte Portionen – für alle Einsatzkräfte zu. Die Verpflegung wurde in Thermoboxen angeliefert und im Feuerwehrhaus in Seubersdorf bereitgestellt.
„Auch hier hat ein Rädchen ins andere gegriffen“, hält Weiß fest. Und weiß wie Dieter Hauenstein genau: Aufs Ehrenamt ist und bleibt beim BRK Verlass!