Ihr Appell: „Sie müssen gemeinsam nach vorne marschieren“

Matthias Balk
„Wir haben keine Zeit mehr – und wir haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren wieder Zeit verloren“, meint Schirmherrin Andrea Lindholz.

Innenpolitikerin und Schirmherrin Andrea Lindholz nimmt in ihrer Eröffnungsrede beim 13. Katastrophenschutzkongress kein Blatt vor den Mund – gerade, wenn es um die kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine und die möglichen Folgen für Europa und Deutschland geht. „Wie stark müssen wir sein, damit Wladimir Putin den Angriff auf Nato-Gebiete nicht vornehmen wird?“, fragt sie. DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt betont: „Alles, was zur Resilienz der Bevölkerung beiträgt, muss in unserem Bewusstsein sein.“

Von Frank Betthausen

Deggendorf. Nein, eine Veranstaltung wie der Katastrophenschutzkongress der BRK-Bereitschaften ist in Zeiten wie diesen kein Ort, um Dinge zu beschönigen oder Realitäten auszublenden. Das weiß auch die Innenpolitikerin Andrea Lindholz, die bei der 13. Auflage als Schirmherrin fungiert. 

Und so nimmt die Bundestagsvizepräsidentin aus dem Wahlkreis Aschaffenburg am Samstagvormittag bei ihrer Eröffnungsrede in den Stadthallen in Deggendorf kein Blatt vor den Mund – gerade, wenn es um die kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine und die möglichen Folgen für Europa und Deutschland geht…

„Die zivile Verteidigung, der Katastrophenschutz, die Vorbereitung auf Krisen – das muss raus aus der Nische, raus in die Breite der Bevölkerung und ins Bewusstsein der Politik“, fordert Lindholz. Und sie stellt die Frage: „Wie stark müssen wir sein, damit Wladimir Putin den Angriff auf Nato-Gebiete nicht vornehmen wird?“

Fähigkeiten „massiv ausbauen“

Die Antwort darauf gibt sie wenige Sekunden später selbst. Europa und Deutschland müssten ihre Fähigkeiten „ganz schnell massiv“ ausbauen. „Wir haben keine Zeit mehr – und wir haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren wieder Zeit verloren“, hält sie fest. Der Krieg in der Ukraine sei eben nicht weit weg, sondern ganz nah.

Wenn es gelingen soll, die Bundesrepublik für künftige Krisen und Lagen zu wappnen, sind nach Ansicht der Vize-Präsidentin des THW, die auch dem Roten Kreuz angehört, neben Investitionen ins Personal Ausgaben für den medizinischen Bereich nötig – für Krankenhäuser und Pflege. Das sei ein Thema, das in der Diskussion noch viel zu sehr in den Hintergrund trete.

„Die schönsten Fahrzeuge, die besten mobilen Arztpraxen und Betreuungsmöglichkeiten helfen nichts, wenn wir nicht die Menschen haben, die sich um die Verwundeten, die Verletzten, die Kranken, die Pflegebedürftigen und die Hilfsbedürftigen kümmern.“ 

DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt

Matthias Balk
Stellvertretende Ministerpräsidentin Ulrike Scharf greift in ihrer Rede das Motto des Kongresses „Wissen teilen – Sicherheit stärken“ auf. Die Sicherheit zu stärken, sei wichtiger denn je.

Und: Auch in anderen Infrastrukturfragen braucht es für die CSU-Politikerin mehr Nachdruck – etwa bei der Ertüchtigung von Brücken und Straßen. Der Handlungsbedarf sei im Operationsplan Deutschland als Reaktion auf die sicherheitspolitische Lage in Europa aufgezeigt worden… 

„Wenn es wirklich so wäre, dass Deutschland zum Drehkreuz und Durchmarschgebiet werden würde, was sich niemand von uns wünscht, dann funktioniert das mit mancher Straße und mancher Brücke eben nicht mehr“, stellt Lindholz in aller Deutlichkeit fest.

Bei den Verbänden und in der Blaulichtfamilie macht die Schirmherrin ebenfalls Themen aus, die es nach ihrem Dafürhalten dringend zu klären gilt – in Zeiten, in denen in Berlin „die zivile und die militärische Verteidigung endlich gemeinsam gedacht werden“ und bei den Finanzen beides mit gleichem Stellenwert nebeneinanderstehe. 

„Das bedeutet, dass sich die Hilfsorganisationen jetzt wirklich zusammenschließen und gemeinsam nach vorne marschieren müssen“, appelliert sie an die Anwesenden. Und Lindholz schiebt hinterher: „Es muss ihnen und uns gelingen, halbwegs mit einer Sprache zu sprechen.“ 

Eine der „absolut prioritären Aufgaben“

Eine der „absolut prioritären Aufgaben“, die noch dazu kein Geld koste, erkennt sie in der Dokumentation personeller Ressourcen und Verfügbarkeiten. „Wir kennen diese Lücke, aber man hat es immer noch nicht geschafft, bund- und länderübergreifend endlich eine Auflistung dazu zu machen, wer uns zur Verfügung steht. Noch nicht einmal in den Organisationen wissen sie, für wen das wann und wo gilt“, meint die Rednerin.

Was ein freiwilliges Gesellschaftsjahr angeht, hält Lindholz eine andere Denkrichtung für deutlich gewinnbringender. „Wenn wir uns dafür einsetzen, dann bitte verpflichtend! Wer glaubt, dass wir so viel Zeit haben, dass wir es freiwillig umsetzen können, der irrt“, betont sie. 

Grundsätzlich, geht sie einen Schritt weiter, könnten ein Gesellschaftsjahr „und die Wiedereinführung der Wehrpflicht durch Zurücknahme der Aussetzung“ sogar gut kombiniert werden. 

Frank Betthausen
Kräftigen Applaus im Saal gibt es, als BRK-Präsidentin Angelika Schorer an die Verdienste der Kongressgründer – Brigitta Hausl-Wieschalka und ihr Mann Peter Hausl sitzen in einer der vorderen Saalreihen – vor 25 Jahren erinnert.

Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen in der Bundeshauptstadt lautet ihr Appell an ihre Zuhörer: „Schließen sie sich zusammen, arbeiten sie an einem gemeinsamen Konzept – und zwar schnell und machen sie Druck auf die Politik. Wir brauchen die nötigen personellen Ressourcen.“ Deutschland habe kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.

Stellvertretende Ministerpräsidentin Ulrike Scharf greift in ihrem Redebeitrag das Motto des Kongresses „Wissen teilen – Sicherheit stärken“ auf. Die Sicherheit zu stärken, sei wichtiger denn je. „Wir wissen alle, in welch unruhigen, schwierigen Zeiten wir leben“, sagt die CSU-Vertreterin. Umso wichtiger sei das Wirken der Hilfsorganisationen, „weil sie uns damit auch einfach Sicherheit geben“. 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr…

Den Verbänden und Institutionen bescheinigt sie hohe Professionalität und Kompetenz. „Ich bin dankbar für ihre Kraft und Opferbereitschaft“, erklärt sie.

„Begeisterndes“ Engagement

Den 450 000 Frauen und Männern, davon 430 000 im Ehrenamt, die im Freistaat im Sicherheitsbereich zur Stelle seien, wenn sie gebraucht würden, dankt sie für ihr „begeisterndes“ Engagement.

In dem dreitägigen Termin in Deggendorf macht die Sozialministerin mehr aus als eine Veranstaltung. „Dieser Kongress ist ein Symbol für gelebte Verantwortung“, sagt Scharf und verweist auf den Stellenwert eines starken Miteinanders. 

Darum geht es für sie „heute mehr denn je“ – genauso wie um Vorsorge und Solidarität, die oft Schlimmeres verhindern könnten. Denn: „Wir müssen mit der Gewalt von Natur rechnen. Das nächste Hochwasser wird kommen, das nächste Starkregenereignis wird stattfinden.“ 

Matthias Balk
Mit der Grundgesetzänderung im März sei ein Zeichen dafür gesetzt worden, dass die Zeitenwende nicht nur Sicherheitspolitik, Außenpolitik und Verteidigungspolitik bedeute, „sondern in gleicher Weise Schutz der Bevölkerung und der Menschen in unserem Land“, erklärt DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt.

DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt stellt ihrem Grußwort bewusst einen Dank an die Politik für die im März beschlossene Grundgesetzänderung voraus. Der Bundestag hatte damals unter anderem beschlossen, dass die Ausgaben für Verteidigung sowie den Zivil- und Bevölkerungsschutz ab einer bestimmten Höhe nicht mehr von der Schuldenbremse umfasst sind.

Mit der Grundgesetzänderung sei ein Zeichen dafür gesetzt worden, dass die Zeitenwende nicht nur Sicherheitspolitik, Außenpolitik und Verteidigungspolitik bedeute, „sondern in gleicher Weise Schutz der Bevölkerung und der Menschen in unserem Land“, hält Hasselfeldt fest. Der Bevölkerungsschutz sei in den Köpfen der politisch Verantwortlichen aller Parteien angekommen.

Es geht immer auch ums Personal

Aber, hebt sie den Zeigefinger, die Grundgesetzänderung allein bedeute noch nicht die Umsetzung. „Das Ganze wird nur erfolgreich sein, wenn auch die Konsequenzen daraus gezogen werden und konkrete Maßnahmen folgen“, betont die DRK-Präsidentin, für die es in allen Krisen- und Präventionsfragen immer um das Personal geht. 

„Die schönsten Fahrzeuge, die besten mobilen Arztpraxen und Betreuungsmöglichkeiten helfen nichts, wenn wir nicht die Menschen haben, die sich um die Verwundeten, die Verletzten, die Kranken, die Pflegebedürftigen und die Hilfsbedürftigen kümmern.“

Hier brauche es die breite Bevölkerung mehr als bisher. „Alles, was zur Resilienz der Bevölkerung beiträgt, muss in unserem Bewusstsein sein“, fordert Hasselfeldt. Das beginne mit verpflichtenden Erste-Hilfe-Kursen in Schulen und höre bei der Ausbildung von Pflegeunterstützungskräften auf – für Konflikte und Krisen, aber auch im Pflegealltag. „Auch da haben wir erheblichen Nachhol- und Ausbildungsbedarf.“

Was die Motivation des Personals angehe, sei die immer noch fehlende rechtliche Gleichstellung von Helfern auf Bundesebene ein starkes Hindernis. „Ich bin es leid, das immer und immer wieder anzumahnen“, sagt die Funktionärin, die bei diesem Thema eine Verschiebung von Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern erlebt. 

„Wir brauchen die volle rechtliche Gleichstellung der Helferinnen und Helfer aller Hilfsorganisationen“, sagt sie und bezieht diese Aussage in Detailfragen auch auf den Freistaat Bayern.

Für einen „kontinuierlichen Wissenstransfer“ zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz tritt BRK-Präsidentin Angelika Schorer ein. Naturkatastrophen, Großschadenslagen und Pandemien forderten nicht nur heraus, sie erforderten auch eine vorausschauende Zusammenarbeit.

„Wir müssen uns vorbereiten und gut vorbereitet sein. Wir müssen immer vor der Lage sein und die Risiken erkennen.“ 

BRK-Präsidentin Angelika Schorer

Matthias Balk
„Wir wollen nicht nur vorbereitet sein, sondern brauchen das nötige Gerät dazu“, erklärt BRK-Präsidentin Angelika Schorer, für die sich in diesen Zeiten in besonderer Weise zeigt, „wie wichtig die Rolle des Ehrenamts zusammen mit dem Hauptamt ist“.

„Wir müssen uns vorbereiten und gut vorbereitet sein. Wir müssen immer vor der Lage sein und die Risiken erkennen“, sagt Schorer. Neue Technologien eröffneten hier auch andere Chancen. Wie ihre Präsidentinnen-Kollegin auf Bundesebene ruft sie am Samstag dazu auf, der Gesellschaft zu zeigen, wie wichtig Resilienz sei. 

In ihrem Eröffnungsstatement formuliert Schorer darüber hinaus noch einmal den klaren Wunsch nach entsprechenden Katastrophenschutzmitteln im Bundeshaushalt. Bei der hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion am Vorabend waren in diesem Zusammengang 20 bis 30 Milliarden Euro als Größenordnung genannt worden.

„Wir wollen nicht nur vorbereitet sein, sondern brauchen das nötige Gerät dazu“, erklärt die BRK-Präsidentin, für die sich in diesen Zeiten in besonderer Weise zeigt,  „wie wichtig die Rolle des Ehrenamts zusammen mit dem Hauptamt ist“.

Matthias Balk
„Das muss die zentrale Botschaft sein – dass wir uns hier weiterentwickeln und auf neue Szenarien vorbereiten müssen“, sagt Deggendorfs Landrat Bernd Sibler.

Kräftigen Applaus im Saal gibt es, als Schorer an die Verdienste der Kongressgründer Herbert Putzer, Peter Hausl und Brigitta Hausl-Wieschalka vor 25 Jahren erinnert. Sie hatten sich 1999 mit ihrer Idee gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt und die Veranstaltung im Jahr 2000 erstmals in Weiden organisiert.

„Was sie angestoßen haben, das ist heute eine Institution“, richtet Ulrike Scharf ebenfalls lobende Worte an das Ehepaar, das die Eröffnung in einer der vorderen Reihen verfolgt.

Über große Komplimente für ihre Organisationsarbeit freuen sich außerdem Dieter Hauenstein und sein Team. Der Bezirksbereitschaftsleiter trägt seit 2007 die Verantwortung für den Kongress. 

Deggendorfs Landrat und BRK-Kreisvorsitzender Bernd Sibler macht den Wert funktionierender, gut vorbereiteter Hilfsorganisationen an einem Beispiel fest, das sich den Menschen in Niederbayern auf ewige Zeiten ins Gedächtnis gebrannt hat – an der Hochwasser-Katastrophe im Juni 2013. Die A3 und ganze Landstriche rund um Deggendorf seien damals meterhoch überflutet gewesen. 

„Wir waren überwältigt, mit welcher Wucht wir unterstützt worden sind. Ich war zu Tränen gerührt, weil wir gespürt haben, dass wir nicht allein sind und alle zusammenhelfen werden“, lässt der CSU-Politiker die extremen Ereignisse von vor zwölf Jahren noch einmal lebendig werden.

Matthias Balk
Die offizielle Eröffnung des Kongresses am Samstagvormittag beschert Bezirksbereitschaftsleiter Dieter Hauenstein und seinem Team einen proppenvollen Veranstaltungssaal in den Deggendorfer Stadthallen.

Was Krisen und Katastrophenfälle angehe, sei die Region Gott sei Dank gut aufgestellt. „Das liegt auch daran, dass wir hier im Landkreis in der Helferfamilie beieinander sind“, betont Sibler mit Blick auf die regelmäßig stattfindenden Lagebesprechungen mit allen Sicherheitspartnern.

Der Bevölkerungsschutz, greift er abschließend eine Aussage von DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt auf, müsse in der Zeitenwende ankommen. „Das muss die zentrale Botschaft sein – dass wir uns hier weiterentwickeln und auf neue Szenarien vorbereiten müssen“, verdeutlicht das Landkreis-Oberhaupt.

Die Chance der Ganztagsschulen

Den von Sibler angeschnittenen Rechtsanspruch auf die Ganztagsschule im Grundschulbereich, der 2026 komme, spricht auch Ulrike Scharf an. „Wichtig ist, dass wir das als Chance begreifen“, meint sie. Vereine und Institutionen sollten sich nach ihrem Dafürhalten bei der Nachmittagsbetreuung engagieren dürfen. 

Das eröffne viele Möglichkeiten, die Begeisterung fürs Ehrenamt und Sozialverbände zu schaffen. „Das ist eine Win-win-Situation. Hier kann uns etwas Gutes gelingen“, sagt die stellvertretende Ministerpräsidentin und sendet ebenfalls eine klare Botschaft aus.

Ganztagsschulen, Resilienz und Helfergleichstellung: Eine Veranstaltung wie der Katastrophenschutzkongress ist eben ein Ort, an dem Themen mit deutlichen Worten von allen Seiten aus beleuchtet und Realitäten nicht ausgeblendet werden…