Unter dem Motto „Wissen teilen – Sicherheit stärken“ hat am Freitag in Deggendorf der 13. Bayerische Katastrophenschutzkongress mit dem 9. Fachkongress Rettungsdienst begonnen. Eine Podiumsdiskussion rund um das Thema „Hilfsorganisationen in der Zeitenwende“ markierte am Abend den Auftakt in den Deggendorfer Stadthallen. Dabei ging es ganz entscheidend um die Fragen, welchen Beitrag die Hilfsorganisationen zum gesundheitlichen Bevölkerungsschutz leisten, welche Verantwortung hier die Politik trägt, warum ein Umdenken bei der Bevölkerung notwendig ist und wann Hilfsorganisationen im Katastrophenfall an ihre Grenzen stoßen.
Von Eva Rothmeier
Deggendorf. „Wenn wir es jetzt nicht schaffen, unsere Bedeutung als Hilfsorganisationen ins politische Stammbuch zu hauen, haben wir es nicht verdient“, machte Prof. Dr. Peter Bradl, Leiter des Instituts für Rettungswesen, Notfall- und Katastrophenmanagement an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, und Moderator der hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion, gleich zu Beginn seinen Standpunkt deutlich.
Bradl ist selbst seit 40 Jahren im Katastrophenschutz aktiv und stimmte mit seinem Impulsvortrag „Bevölkerungsschutz und Hilfsorganisationen – Was tun die überhaupt?“ die rund 500 Zuhörer auf die anstehende Diskussion ein.
Die Hilfsorganisationen müssten laut Bradl klar machen, was ihre Aufgaben sind und für was sie stehen. Die Bevölkerung verlasse sich darauf, dass der Staat und eben auch die Hilfsorganisationen im Krisen- oder Katastrophenfall als verlässliche Partner funktionieren.
„Das sehe ich bei uns aber tatsächlich nicht“, sagt Bradl und fordert, dass es jetzt an der Zeit sei, Strukturen anzupassen, Grenzen aufzuzeigen und auch deutlich „Stopp“ zu sagen, wenn klar sei, dass etwas nicht machbar sei. Die Anforderungen und die Erwartungshaltungen hätten sich geändert und man müsse sich mit neuen Rollen auseinandersetzen.
Von den Teilnehmern der Podiumsdiskussion – DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt, Generalarzt Dr. Bruno Most, Thomas Hambach, Kommandeur des Landeskommandos Bayern, BRK-Landesarzt Dr. Florian Meier, Generaloberin Edith Dürr, Präsidentin der Schwesternschaften vom DRK, Christian Doleschal, Mitglied des Europäischen Parlaments, Jürgen Eberwein, Mitglied des Bayerischen Landtags, Thomas Haas, Leiter Einsatzdienste Malteser Hilfsdienst Bayern, und Dr. Christian Wolf, stellvertretender Landesvorsitzender ASB-Landesverband Bayern – erhoffe er sich deshalb, am Ende der Runde eine klare Aufgabenverteilung zu erfahren.
„Welche Verantwortung hat die Politik in der jetzigen Situation, um die Hilfsorganisationen tatsächlich zu befähigen?“, richtete Peter Bradl seine erste Frage auch gleich an DRK-Präsidentin Gerda Hasselfedt. Diese ist überzeugt, dass in den vergangenen Wochen und Monaten auch bei den politischen Verantwortlichen angekommen ist, dass die Zeitenwende nicht nur eine militärische und außenpolitische, sondern auch eine für den Bevölkerungsschutz ist.
„Die Hilfsorganisationen sind seit Jahren auf diesem Weg. Jetzt sind in der Bevölkerung und der Politik Sensibilisierungen zu diesem Thema vorhanden, was in den aktuellen Grundgesetzentscheidungen sichtbar ist. Wir sind hoffentlich auch in der praktischen Umsetzung keine Bittsteller mehr, und das stimmt mich schon optimistisch“, sagte sie.
Thomas Haas, Leiter Einsatzdienste Malteser Hilfsdienst Bayern, sieht hier die neue Bundesregierung in der Pflicht, in Sachen Zivilschutz und zivile Verteidigung das Vertrauen der Hilfsorganisationen und der Bevölkerung wiederherzustellen, indem auch dieser Bereich aus dem Sondervermögen bedacht wird, um die Lücken aus Jahrzehnten zu füllen. „Als bayerischer Vertreter der Malteser fühlen wir uns in Bayern in Sachen Katastrophenschutz zwar gut mitgenommen, es ist aber definitiv noch Luft nach oben“, sagte Haas.
Jürgen Eberwein, Mitglied des Bayerischen Landtags, und auch Christian Doleschal, Mitglied des Europäischen Parlaments, erklären, dass sowohl auf bayerischer als auch auf europäischer Ebene viel passiert sei. „Die Zeitenwende ist definitiv in der Politik angekommen“, ist Doleschal überzeugt.
Mit einer Frage aus einem völlig anderen Bereich holte Moderator Peter Bradl dann auch die Vertreter der Bundeswehr mit in die Diskussionsrunde. „Welchen Wert haben die Übungen, die aktuell durchgeführt werden, um uns zukunftsfähig zu machen?“, wollte er von Dr. Bruno Most und Thomas Hambach wissen.
Diesen Übungen komme auch im Kontext der Zeitenwende eine entscheidende Bedeutung zu, da sich Deutschland in seiner „vulnerabelsten sicherheitspolitischen Lage seit dem Zweiten Weltkrieg befindet“, antwortete hierauf Generalarzt Dr. Bruno Most.
Deutschland müsse authentisch sein und den Bundeswehr-Übungen komme hier eine entscheidende Bedeutung zu. Deutschland könne im Katastrophenfall seinen Auftrag nur erfüllen, wenn das Zusammenwirken mit den Hilfsorganisationen abgestimmt ist und bei allen Akteuren Handlungssicherheit vorherrscht.
Dem konnte Thomas Hambach nur zustimmen, denn nur was man übe, könne man auch. „Momentan versuchen verschiedene Player auf dieser Welt, unsere liberale Weltordnung zu erschüttern. Das betrifft uns alle, das ist unsere Demokratie. Jeder muss das begreifen und eine Übung ist eben ein Zeichen nach außen, dass diese Gesellschaft zusammensteht“, machte der General deutlich.
Aber ist es auch für die Hilfsorganisationen möglich, sich durch Übungen auf solche Szenarien vorzubereiten? „Wir üben nur typische Sanitätsszenarien, aber nicht die in dieser Runde genannten Herausforderungen, die auf uns zukommen könnten. Hier sind wir tatsächlich blank“, musste Dr. Christian Wolf, stellvertretender Landesvorsitzender ASB-Landesverband Bayern, zugeben.
Und auch auf Bradls Frage, ob man die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung im Fall einer Katastrophe oder Verteidigungsfalls leisten könne, antwortete BRK-Landesarzt Dr. Florian Meier ganz klar mit „Nein“. Auch grundsätzlich habe man aus medizinischer Sicht noch einen weiten Weg vor sich.
„Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen und einen genauen Plan, damit jeder weiß, was er im Katastrophenfall zu tun hat.“
Thomas Hambach, Kommandeur Landeskommando Bayern
Generaloberin Edith Dürr von den Schwesternschaften bemängelte, dass Pflege bei der Gesundheitsversorgung oft nicht mitgedacht werde. Pflege müsse hier im Rahmen der Versorgungs- und Übungsstruktur eine andere Kompetenz bekommen. Der Katastrophenfall müsse deshalb unbedingt in der Ausbildung verankert werden, um derartige Szenarien auch üben zu können.
Doch was sind die Herausforderungen für die Hilfsorganisationen im zivilen Bereich? „Wir brauchen ganz klar eine engere Zusammenarbeit. Einen genauen Plan, was beispielsweise zu tun ist, wenn im Krieg verletzte Soldaten nach Hause kommen“, erklärte Thomas Hambach. Und dieser Plan müsse eben jetzt gemacht werden und nicht erst, wenn er gebraucht werde.
Auch DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt sieht diese Notwendigkeit und erklärt, dass diesbezüglich nach intensiven Gesprächen bereits erste Vereinbarungen getroffen worden seien, wie eben das Rote Kreuz die Bundeswehr im Kriegsfall unterstütze. Genau dafür brauche es aber auch eine rechtliche und gesetzliche Grundlage.
Auch Kinder- und Jugendliche sollten noch mehr und noch früher an die Erste Hilfe herangeführt werden. Hier sieht Jürgen Eberwein beispielsweise die Möglichkeit, dass auch die Hilfsorganisationen die Chance bekommen sollten, ihre Arbeit in den Schulen vorzustellen.
„Wir brauchen einen Gesellschaftsdienst für den Bevölkerungsschutz, denn wo sollen die ganzen Ehrenamtlichen herkommen, die es jetzt noch nicht gibt?“, machte Thomas Haas von den Maltesern deutlich. Und Bruno Most brachte hierauf den Vorschlag, ob es nicht möglich wäre, einen Bundesfreiwilligendienst auch im Katastrophenschutz anzubieten.
Zum Ende der Podiumsdiskussion wollte Peter Bradl wissen, wo die Hilfsorganisationen ihre Grenzen sehen. „Unsere Grenzen entstehen durch unsere schlechte Ausstattung und dass wir in allen Hilfsorganisationen keine bundesweit einheitliche Gleichstellung bei der Freistellung der ehrenamtlichen Helfer für Einsätze und Übungen haben“, antwortete Gerda Hasselfeldt, was ihr großen Applaus des Publikums einbrachte.
Christian Wolf richtete hier zudem den Appell an die Politik, durch Freiwilligenprogramme oder ähnliches mehr junge Menschen ins Ehrenamt zu bringen, um die Hilfsorganisationen vor Überforderung zu schützen.