Von Frank Betthausen
Straubing. Das Gedränge ist gewaltig an diesem Abend beim Gäubodenvolksfest. Das Team mit der Rolltrage – der nächste Einsatz ruft – kommt in der Budenstraße nur voran, weil ein Security-Angestellter den BRK-Mitarbeitern in seiner gelben Weste den Weg durch die Besuchermassen bahnt. Im Vorbeigehen schreit ein junger Kerl in Lederhose und Trachtenhemd: „Danke! Danke, dass es euch gibt!“
Die Szene hat für Melanie Fischer, die Kreisbereitschaftsleiterin des BRK Straubing-Bogen, Symbolcharakter. Die 33-Jährige, die mit ihrer Stellvertreterin Christina Artmann die Gesamteinsatzleitung bei dem Sanitätsdienst auf Bayerns zweitgrößtem Volksfest innehat, sieht so etwas wie eine vorsichtige Trendumkehr. Weg von unkontrollierter Wut und Aggression gegenüber Einsatzkräften – hin zu mehr Wertschätzung und viel Anerkennung für die Helfer!
„Das ist nicht viel. Das wird überbewertet.“
Kreisbereitschaftsleiterin Melanie Fischer über die Zahl der Besucher, die wegen übermäßigen Alkoholkonsums behandelt werden müssen
„Ich weiß nicht, ob sich das nicht gerade langsam wieder ins Positive verkehrt“, meint sie. Natürlich gebe es Ausreißer und Besucher, die sich im Ton vergreifen, im Rausch herumpöbeln und den Kollegen der Blaulicht-Organisationen Schimpftiraden entgegenschreien. Aber: Auch die Polizei habe bestätigt, dass das Gäubodenvolksfest – es dauert heuer vom 11. bis 21. August – friedlicher und entspannter sei als so manch andere Großveranstaltung in Bayern.
Das Spendenbehältnis ist immer gut gefüllt
In den Räumen der Festwache im Theater am Hagen zeigt sich das beispielsweise in vielen dankbaren Worten und Gesten – und in Spenden für die Rot-Kreuz-Arbeit… Das Glasbehältnis auf dem Empfangstresen ist immer gut gefüllt.
Das „kleine Klinikum“ am Rande des Festplatzes ist für Fischer, Artmann und ihr Team – rund 250 ehrenamtliche Helfer und etwa 30 Notärzte sorgen in diesem Jahr für die Sicherheit abertausender Besucher – die Drehscheibe aller Sanitätsdienst-Aktivitäten.
Alle Patienten werden vorrangig hierher gebracht – unter Tags mit San-Carts und an den Abenden, wenn es zu eng wird in den Gassen zwischen den Zelten und Fahrgeschäften, mit speziellen, blickdichten Tragen. Bei der Aufnahme beziehungsweise der Erstuntersuchung wird entschieden, wer vor Ort behandelt werden kann – es sind die allermeisten – und wer ins Krankenhaus verlegt werden muss.
Ein weit verbreitetes Vorurteil
Das Gros der Betroffenen, meinen viele Außenstehende, habe doch sicherlich Ausfallerscheinungen durch übermäßigen Alkoholkonsum. Aber: weit gefehlt! Melanie Fischer versucht, den Blick bewusst darauf zu lenken, dass die Arbeit in der Festwache mehr ist, als Betrunkene zu versorgen.
Nur fünf bis acht Prozent der Patienten müssen betreut werden, weil sie zu tief in den Maßkrug oder (beim weit verbreiteten Vorglühen) in die Schnapsflasche geschaut haben.
„Das ist nicht viel. Das wird überbewertet“, sagt die 33-Jährige, die hauptberuflich als Sozialpädagogin bei der Stadt Straubing arbeitet und ihre Rot-Kreuz-Heimat bei der Bereitschaft Bogen hat.
Weitaus mehr Besucher kämpfen nach ihren Schilderungen mit Kreislauf-Beschwerden oder benötigen nach einem Kollaps Hilfe.
Die Ursache liegt auf der Hand! Es ist die Sommerhitze – häufig in Verbindung mit dem Umstand, dass viele Festgäste zu wenig gegessen oder keine ausreichenden Mengen an (antialkoholischer) Flüssigkeit zu sich genommen haben. Ebenfalls weit oben auf der Behandlungsliste: Insektenstiche!
Vielen „Kunden“ ist mit einem Pflaster geholfen. Und gerade für das Personal, etwa die Bedienungen aus den Zelten oder Firmen-Mitarbeiter der Ostbayernschau, ist die Festwache schon fast so etwas wie eine Hausarztpraxis. So mancher kommt regelmäßig zum Pflaster- und Verbandswechsel vorbei…
Geholfen wird jedem – freundlich und in unaufgeregter Atmosphäre. Die gute Stimmung im Team ist spürbar – und spricht sich herum. Bei den Besuchern genauso wie bei den Aktiven.
„Viele haben 2022 gesagt: Es war so schön bei euch – wir kommen nächstes Jahr wieder“, sagt Fischer. Und während vor einem Jahr Corona noch ein Riesenfaktor gewesen sei, habe sich die Suche nach ehrenamtlichen Kräften dieses Mal erheblich leichter gestaltet.
„Letztes Jahr mussten wir werben, heuer sind sie uns zugeflogen“, sagt Christina Artmann. Die 39-Jährige, die der Bereitschaft Gossersdorf angehört und als Systemingenieurin bei einem Fahrzeughersteller arbeitet, erstellt die Dienstpläne. Zu Beginn des Festes waren nach ihren Worten in diesem Jahr bereits 93 Prozent aller Schichten besetzt.
Dabei seien es nicht nur die Bereitschaften, die Dienste übernähmen, sagt Fischer, die mit ihrer Kollegin seit 2021 die Kreisbereitschaftsleitung bildet. „Auch die Wasserwachten und die Bergwachten tragen das Ganze engagiert mit. Und wir haben einen Kreisausschuss im Rücken, der eine Bombenunterstützung ist. Ohne den ginge es nicht!“
Ein beeindruckendes Miteinander
Aus den Zahlen und Schichten, ergänzt Artmann, seien die Flexibilität und die Hilfsbereitschaft der Aktiven herauszulesen. „Wenn es drauf ankommt, ist einer für den anderen da. Es findet sich immer eine Lösung.“
Es ist genau dieses Miteinander, das Wachleiter Hans Kienberger während der Festtage immer wieder aufs Neue beeindruckt. „Das ganze Team und der Zusammenhalt machen viel für mich aus“, sagt er.
Der 52-Jährige ist ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Konzell und ein Rot-Kreuz-Urgestein im Landkreis Straubing-Bogen. Er hat sich lange in der Jugendarbeit engagiert, war von 2013 bis 2021 Kreisbereitschaftsleiter und fungiert als 2. stellvertretender Kreisvorsitzender.
„Du hast hier die ganze Bandbreite an Versorgungen – vom kleinen Wespenstich bis zum Herzinfarkt.“
Wachleiter Hans Kienberger
Beim Gäubodenvolksfest ist er seit 1992 im Einsatz – seine Premiere feierte er als Zivildienstleistender im Rettungsdienst. Seit gut zehn Jahren leitet er die Festwache, deren Entwicklung und Ausbau er eng begleitet hat. In den Anfangszeiten bestand sie aus vier, fünf zusammengestellten Containern… Was für ihn den Reiz an dem riesigen Sanitätsdienst ausmacht? „Du hast hier die ganze Bandbreite an Versorgungen – vom kleinen Wespenstich bis zum Herzinfarkt“, sagt er.
Der Spaß an der ehrenamtlichen Arbeit und „der Basisaustausch auf Augenhöhe“ haben Andreas Krahl zum zweiten Mal zum Dienst nach Straubing gelockt. „Ich bin prinzipiell ein Wiesnkind – daher kenne ich die großen Volkfeste“, sagt der Vizepräsident des Bayerischen Roten Kreuzes, der beim BRK-Kreisverband Garmisch-Partenkirchen zu Hause ist.
Er hatte, wie er erzählt, vergangenes Jahr ursprünglich „nur“ eine Einladung zu einem „Meet and Greet“ zur der Traditionsveranstaltung in Niederbayern erhalten. Seine Reaktion als Mann der Praxis? „Ich komme gerne, aber dann möchte ich mitspielen!“
Er sei ein Kind des Roten Kreuzes. „Ich bin in dem Laden groß geworden. Warum soll ich mich verändern, nur weil ich ein höheres Amt im Verband habe?“, fragt der Oberbayer.
So besetzte der 34-Jährige damals wie heute den Notfallraum. „Das macht von meiner Vita her am meisten Sinn“, meint der Landtagsabgeordnete in Anspielung auf seinen Beruf als Gesundheits- und Krankenpfleger.
Seinen diesjährigen Dienst erlebte er als „relativ entspannt“ – auch wenn mit einem Herzinfarkt und einer starken Anaphylaxie nach einem Wespenstich zwei herausforderndere Fälle zu bewältigen waren.
Der Stress gehört für sie dazu
„Mit dem gesamten professionellen Team“ sei der Einsatz an diesem Tag allerdings mehr als nur stemmbar gewesen, betont Krahl, der fest vor hat, nächstes Jahr wiederzukommen.
Und wie erlebt Melanie Fischer den Wachalltag? Nimmt sie ihn als stressig wahr? Die Kreisbereitschaftsleiterin tut sich mit einer endgültigen Bewertung schwer. „Es gibt Momente, da erlebe ich es als anstrengend, ja. Aber das wechselt immer. Wir haben auch ganz viel Spaß“, meint sie.
Christina Artmann sieht es ähnlich. „Der Stress gehört dazu. Es ist ein Einsatz, der nicht immer nach Plan läuft“, sagt die 39-Jährige.
Und in der dienstfreien Zeit? Haben die Aktiven da noch Lust und Nerven, selbst zum Feiern zu gehen? Melanie Fischer beantwortet die Frage an diesem Tag schon durch ihr Äußeres. Sie hat nach „gefühlt zehn Stunden“ ihre Rot-Kreuz-Kleidung abgelegt und ist ins Dirndl geschlüpft. „Für mich gehört das definitiv dazu. Ich gehe gerne raus und kaufe mir eine Spezi- oder Radlermaß und erlebe das Fest auch als Bürger des Landkreises. Ich bin ja im Herzen trotzdem noch Straubingerin“, sagt sie.
Aber eines ist klar! „Ich glaube schon, dass ich mit anderen Augen im Festzelt sitze und übers Gelände gehe. Du hast sicher einen wacheren Blick“, sagt Fischer. Für die Sicherheit der Gäste genauso wie für Besucher, die den Tragen-Teams ein „Danke, dass es euch gibt!“ hinterherrufen…
„Gut die Hälfte sind Bagatellgeschichten.“
Christina Artmann, stellvertretende Kreisbereitschaftsleiterin
Der Sanitätsdienst beim Gäubodenvolksfest in Zahlen: