Wehklagen und jammern? Nein, das ist nicht Tatjana Richters Welt
75 Jahre BRK-Bezirksverband Niederbayern/Oberpfalz: Die Rot-Kreuz-Schwesternschaften haben eine bewegte Geschichte. Tatjana Richter begleitet sie seit dem Beginn ihrer Pflegefachausbildung im Jahr 1987 leidenschaftlich mit. Seit 2019 ist sie Oberin der Schwesternschaft Wallmenich-Haus in Amberg – mit klaren Ansichten und Überzeugungen. Sie plädiert für eine Professionalisierung und hält die Generalisierung für wichtig. Alle am Gesundheitssystem Beteiligten hätten dringend „auf das kostbare Gut des Nachwuchses sowie der Mitarbeiter“ zu achten und ihre Hausaufgaben zu machen, meint sie.
Von Herbert Ehrl
Amberg. Ein Rotkreuz-Orden zwischen Tradition und Moderne: Kann dieser Spagat gelingen? Diese Frage ist für Oberin Tatjana Richter höchstens eine theoretische. Für sie ist er im Alltag der Schwesternschaft Wallmenich-Haus vom Bayerischen Roten Kreuz e. V., bei deren Arbeit seit Jahrzehnten die Menschen im Mittelpunkt stehen, gelebte Wirklichkeit. Und diesen Anspruch strahlt Richter aus – nicht nur in Worten, sondern auch in authentischer Mimik und Gestik. Dabei verlief ihr persönlicher Weg bei der Schwesternschaft in Amberg nicht durchgängig in eine Richtung...
„Wir können uns nicht lähmen lassen und zusehen, wie es immer weniger Land- und Hausärzte geben wird und wesentliche Funktionen in diesem Gesundheitssystem nicht erfüllt werden.“ Oberin Tatjana Richter
Aber zunächst ein paar Rückblenden: Die Schwesternschaften gingen aus der Bewegung der Rotkreuzschwestern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervor. Sie halfen im Sinne von Henry Dunant auf und neben den Kriegsstätten – häufig mit viel Mut zur Improvisation –, Leid zu lindern. Später übernahmen sie auch die zivile Krankenpflege und Wohlfahrtsaufgaben.
Am 28. Februar 1949 gegründet, gehört das Wallmenich-Haus in Amberg zu den jüngsten Schwesternschaften des Deutschen Roten Kreuzes. Mit den großen Flüchtlingsströmen im Frühjahr/Sommer 1945 waren heimatlos gewordene Rotkreuzschwestern der Mutterhäuser Prag und Karlsbad, aber auch aus Breslau und weiteren östlichen Regionen hierhergekommen.
Nach etlichen improvisierten Unterkünften für die Neuankömmlinge rund um Hirschau beschlossen die Verantwortlichen, durch die Gründungsversammlung der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Eiserne Vorhang jede Hoffnung auf Rückkehr in die frühere Heimat erdrückt hatte.
Ein bewusst gewählter Zusatz
Auch wenn damals kaum zehn Prozent der Mitglieder der Flüchtlings-Schwesternschaften aus Bayern stammten, gaben sie sich als eingetragener Verein den Namen Schwesternschaft Niederbayern/Oberpfalz vom Bayerischen Roten Kreuz.
Mit dem Zusatz Wallmenich-Haus wurde bewusst ein verbindender Schutzname gewählt: Clementine von Wallmenich (geboren 1849, gestorben 1908) war die erste Oberin einer bayerischen Rotkreuz-Einrichtung gewesen.
Besonders viel Weitblick bewies seinerzeit die Gründungsoberin Annelotte Therese Schrüfer, als sie 1951 in Amberg ein Gelände zwischen Krankenhaus und Mariahilfberg erwarb. Unter enormer Unterstützung zahlreicher Gönner aus der Region konnte zwei Jahre später ein eigenes „Mutterhaus“ – wie es bei den Schwesternschaften üblich ist – fertiggestellt werden.
Die Rechnung von Oberin Schrüfer war schon deshalb ein Riesenerfolg, weil die ortsfremden Schwestern eine neue Heimat bekamen und sich in den Folgejahren problemlos mit den neuen, hinzukommenden einheimischen Schwestern zusammenfinden konnten.
Eine besonders aktive Gemeinschaft
So entwickelte sich nach all den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit eine besonders aktive Gemeinschaft, die bis heute einen hervorragenden Ruf im Gesundheitswesen in der gesamten Nordoberpfalz hat – und weit darüber hinaus.
Im Wesentlichen lagen die Aufgaben im gesamten pflegerischen Spektrum – von der Ausbildung bis hin zu sogenannten Gestellungsverträgen für Einrichtungen der ambulanten sowie stationären Pflege.
Zurück in die Neuzeit zu Oberin Tatjana Richter! Ihre Pflegefachausbildung begann sie 1987 und ihr Examen schloss sie 1990 ab. Praktische Erfahrungen konnte sie aufgrund von Gestellungsverträgen in verschiedenen Einrichtungen sammeln, etwa im Krankenhaus Sulzbach-Rosenberg, bei den Barmherzigen Brüdern Regensburg und im Bundeswehrkrankenhaus Amberg, wo sie schließlich als Stationsleitung fungierte.
Nach Schließung der Bundeswehr-Einrichtung und zwischenzeitlicher Familienpause aufgrund der Geburt von zwei Kindern war sie in Sulzbach-Rosenberg auf der Station für Wachkoma-Patienten tätig.
Später ließ sie sich weiterbilden zur Einrichtungsleitung und folgte dem Ruf zurück in das „Mutterhaus“ als Heimleiterin im Wallmenich-Haus. Folgerichtig wurde Tatjana Richter 2017 in den Vorstand der Schwesternschaft gewählt. 2019 folgte die Ernennung zur Oberin.
Im Rückblick stellt sie fest: „Vieles in meinem beruflichen Werdegang war so gar nicht geplant, aber die gute Vernetzung in all den Jahren hat mir sicher einiges erleichtert.“ Richter hat es konsequent verinnerlicht, nicht nur die Pflegelandschaft samt staatlicher Vorgaben und Verordnungen bestens zu kennen, sondern praxisnah und mit viel Weitblick über den Tellerrand hinauszuschauen.
„Politisch und gesellschaftlich gewollte Trends“
Am Beispiel der Planstellenberechnung schildert sie zum Verständnis: „Wir Schwesternschaften haben quasi nur ein Aufgabenfeld – und das ist die Pflege! Im Hintergrund sehen wir über die vielen Jahre politisch und gesellschaftlich gewollte Trends – von den Schwesternhelferinnen bis hin zur Pflege-Akademisierung.“
Das sei sicherlich notwendig, auch wenn es nach gesamtgesellschaftlicher Lage der Dinge gewiss nicht zu einer großen Dichte an Fachkräften führen werde. „Da wird es eher in der Konsequenz um eine Verlagerung von Aufgaben im Gesundheitswesen gehen“, meint Richter.
Und führt weiter aus: „Verkürzt gesagt können wir uns nicht lähmen lassen und zusehen, wie es immer weniger Land- und Hausärzte geben wird und wesentliche Funktionen in diesem Gesundheitssystem nicht erfüllt werden.“
Richter: „Zuständigkeiten verlagern“
So gesehen müsse die Landschaft der Pflegefachkräfte nicht in Worten und Ankündigungen, sondern „mit ganz konkreten Maßnahmen“ gestärkt werden. „Und die müssen sich wiederfinden in attraktiven und gesellschaftlich sowie politisch anerkannten Berufsbildern“, meint die Oberin.
Das heiße, dass bereits in sehr naher Zukunft etliche Funktionen und Zuständigkeiten aus dem medizinisch-pflegerischen Alltag an sogenannte Hauptkrankenpfleger verlagert werden müssten.
Richter hat da einen ganz klaren Blickwinkel, der besagt: Ja, die Professionalisierung ist notwendig. Und ja, die Generalisierung ist wichtig beziehungsweise darf zu keinem Problem gemacht werden. Will heißen: Nach ihrer Ansicht haben alle am Gesundheitssystem Beteiligten dringend „auf das kostbare Gut des Nachwuchses sowie der Mitarbeiter“ zu achten und ihre Hausaufgaben zu machen.
„Ganz vorne dran sehe ich da die hohe Bedeutung an guter, enger und kontinuierlicher Praxisanleitung. In engster Abstimmung mit den Praxisbegleitungen der Berufsfachschulen!“, sagt sie. Bereits an dieser Stelle dürfe nichts vernachlässigt werden, denn dabei handele es sich um eine Schlüsselfunktion der Pflegeausbildung.
Die Schwesterschaft Wallmenich-Haus betreibt seit 2017 keine eigene Berufsfachschule mehr. Typisch für Richters Resolutheit: Sie sieht das längst nicht mehr mit Bedauern, sondern rückt die dadurch entstandenen Chancen in den Mittelpunkt.
„Mir ist nicht so sehr wichtig, welche Planstellen-Berechnungen vorliegen, sondern es stellt sich mir eher die Frage, welches Personal benötigen wir.“ Oberin Tatjana Richter
In ihren Praxisstellen werden die Auszubildenden eng begleitet. Positiv sieht die Oberin auch die Möglichkeit, dass die Schwesternschaften für den lernenden Nachwuchs Zimmer zur Verfügung stellen könnten. So könne quasi nebenbei eine noch tiefere Bindung entstehen.
Nein, das Klagen und Jammern liegt der Oberin gar nicht. Natürlich sieht sie eng auf die Wirtschaftlichkeit. Aber mittel- und langfristig weiß sie: „Mir ist nicht so sehr wichtig, welche Planstellen-Berechnungen vorliegen, sondern es stellt sich mir eher die Frage, welches Personal benötigen wir. Und da geht selbst ein Personalübergang gut auf, da er sich bereits kurzfristig auf die Zufriedenheit – und damit auf die Wirtschaftlichkeit – unserer Mitarbeiter auswirkt.“
Natürlich hilft man sich dann auch in der Rotkreuz-Familie aus, wenn es da oder dort eng wird…
Wertvolle und anspruchsvolle Arbeit
Richter schätzt die enge Einbindung ins Bayerische Rote Kreuz ungemein. Sie selbst ist auch Vorstandsmitglied beim BRK-Bezirksverband Niederbayern/Oberpfalz – der Bezirksvorsitzende Hans Rampf ist zugleich Mitglied im Vorstand der Schwesternschaften. Gegenseitige Kompetenzen werden geschätzt und genutzt – nicht nur in Krisenzeiten wie etwa während der Corona-Pandemie.
Die Oberin sieht auf der Rotkreuz-Ebene ein starkes Netz, das auch ihre Arbeit erleichtere. Darüber hinaus hat sie ihre Netzwerke nicht nur in der Region, sondern weit darüber hinaus. In ihrer Tätigkeit als Oberin geht sie voll auf.
Dabei mag sie besonders, dass sie in ihrer Funktion eine wertvolle und anspruchsvolle Arbeit verrichten könne, über die es gelinge, viel zu bewirken und zu bewegen… „Ich bin stolz, Oberin der Schwesternschaft Wallmenich-Haus sein zu dürfen und freue mich auf weitere anspruchsvolle Herausforderungen!“