Schnelle Hilfe aus der Luft – wenn jeder Handgriff sitzen muss
Retten will gelernt sein – und geübt. Aus diesem Grund verwandelte sich die Region um den Geißkopf in Bischofsmais im Landkreis Regen kürzlich in ein Großeinsatzgebiet. Die Crews des ADAC-Rettungshubschraubers Christoph 15 trainierten von 17. bis 21. Juni mit Partnern der Bergwacht Region Bayerwald und der Wasserwacht verschiedene Szenarien der Windenrettung, um für den Ernstfall gerüstet zu sein. Ein Ausbilderteam um Michael Pammer, Regionalgeschäftsführer der Bergwacht Bayerwald, war jeden Tag mit vor Ort.
Von Eva Rothmeier
Bischofsmais. Der Wind frischt auf. Von einem kleinen Lüftchen verwandelt er sich innerhalb von Sekunden zu einer heftigen Böe. Dazu kommt ein ohrenbetäubender Lärm. Mitten auf einer Wiese auf dem Weg zum Breitenauriegel am Geißkopf knien eine Notärztin aus dem Klinikum St. Elisabeth in Straubing und ein Luftretter der Bergwacht Bayerwald. Vor ihnen liegt der „Patient“, bereits fachgerecht in einen Luftrettungssack verpackt.
„Wenn der Pilot das Y-Zeichen sieht, lässt der Windenoperator den Haken herunter und die Rettungsaktion beginnt.“ Michael Pammer, Regionalgeschäftsführer der Bergwacht Bayerwald
Die Notärztin formt mit ihren Händen ein Y, bis der Rettungshubschrauber Christoph 15 zentral über ihnen zum Stehen kommt. „Y ist das internationale Zeichen für Yes, damit die Crew im Hubschrauber weiß, dass man mit dem Verunfallten abholbereit ist“, erklärt Michael Pammer.
Erst wenn der Pilot das Zeichen sieht, lässt der Windenoperator den Haken herunter und die Rettungsaktion beginnt. Und das in einer ganz bestimmten Reihenfolge. „Hier gilt der Spruch ‚Erst der Bauer, dann die Sau‘, was ganz einfach bedeutet, dass sich erst der Retter, also beispielsweise der Notarzt, mit seinem Gurt in den Windenhaken einhakt, und dann erst der Patient und das Material gesichert werden“, beschreibt Pammer.
Nach einem ersten OK-Zeichen, hier wird der Daumen waagrecht nach oben gehalten, damit es aus der Luft zu erkennen ist, wird die gesamte Fracht langsam ein bis zwei Meter angehoben. Dann erfolgt ein zweiter Sicherheitscheck und erst nach dem zweiten OK-Zeichen fliegt der Hubschrauber los. In unserem Beispiel sind das rund drei Minuten ins Klinikum Deggendorf.
Regionalgeschäftsführer Pammer ist an diesem Tag mit fünf Mitarbeitern der Integrierten Leitstelle Passau in seinem Geländefahrzeug zum Einsatzort am Geißkopf gefahren. Sie dürfen dieses Spezialtraining kennenlernen, da die Integrierte Leitstelle im Einsatzfall anordnet, ob der Rettungshubschrauber gleich primär mit zu einem Einsatz fliegt.
„Ob es dann aber tatsächlich zu einem so genannten Winch-Einsatz kommt, entscheiden nur die Crew von Christoph 15 und der Einsatzleiter Bergwacht. Und das, sobald sie das Gelände überflogen haben und abschätzen können, ob es auch möglich ist“, erklärt Pammer. Für ihn hat der Rettungswindeneinsatz grundsätzlich drei riesige Vorteile im Vergleich zur Bergung mit einem Einsatzfahrzeug. Da sind zum einen der Zeitfaktor und zum anderen der schonende Patiententransport – gerade bei einer Wirbelsäulenverletzung – und die Tatsache, dass an der Winde Material und Mensch schnellstmöglich im Gelände verschoben werden können.
85 Windeneinsätze konnte der Rettungshubschrauber Christoph 15 im Jahr 2023 verbuchen, heuer sind es Stand Mitte Juni bereits 46. Und weil diese Einsätze von allen Beteiligten Höchstleistung fordern und jeder Handgriff zu jeder Zeit sitzen muss, sind alle, die an der Winde arbeiten, verpflichtet, aus Sicherheitsgründen jedes Jahr eine Re-Zertifizierung zu machen.
„Unsere Luftretter müssen immer auf dem aktuellen Stand der Notarztmedizin beziehungsweise Notarztassistenz sein." Michael Pammer ist selbst gelernter Rettungsassistent und Notfallsanitäter.
„Das beinhaltet einen Trockenlehrgang in unserem Simulationszentrum in Bad Tölz und ein Echtflugtraining wie dieses hier. Wer das zeitlich oder aus welchen Gründen auch immer nicht schafft, wird im nächsten Jahr gegrounded und darf nicht mehr mitfliegen“, erklärt Pammer. Hinzu kommt, dass die Luftretter immer auch auf dem aktuellen Stand der Notarztmedizin beziehungsweise der Notarztassistenz sein müssen, also fit sein müssen in Dingen wie EKG aufkleben, Medikamente aufziehen, medizinische Geräte bedienen und so weiter.
Der 45-jährige Deggendorfer, der selbst gelernter Rettungsassistent und Notfallsanitäter ist, weiß, welch großen Aufwand das für jeden Einzelnen neben dem normalen Job bedeutet.
Er ist überzeugt, dass man hier schon lange nicht mehr von einem Hobby sprechen kann. „Das ist schon viel mehr eine Berufung“, sagt er.
95 Luftretter gibt es in der Region Bayerwald, also in Niederbayern und der Oberpfalz. Alle sind sie ehrenamtlich für die Bergwacht tätig. Wer sich in diese Richtung spezialisieren möchte, sollte tatsächlich auch tagsüber von seiner Arbeitsstelle abkömmlich sein. „Wenn wir die Luftretter brauchen, müssen sie auch da sein. Da hilft es uns nichts, wenn ein Chef sich quer stellt“, erklärt Pammer weiter.
Die zweite Station an diesem Freitag ist die so genannte „Felssicherung“ direkt am Gipfel des Breitenauriegel auf 1114 Metern Höhe. Denn selbst hier, in diesem steilen und engen Gelände, ist ein Windeneinsatz möglich. Die Notärzte und Luftretter müssen sich in zwei verschiedenen Übungen zunächst am Seil gesichert im absturzgefährdeten Gelände bewegen und dann von der Maschine „aufgewincht“ werden.
„Unsere Einsatzkräfte müssen sich blind aufeinander verlassen können. Jeder unserer Leute arbeitet eigenverantwortlich und muss alle Handgriffe, alle Knoten, alle Haken, zu einhundert Prozent draufhaben. Ein ‚Wird schon passen‘ kann und darf es hier nicht geben, schließlich geht um das Leben von Menschen“, verdeutlicht Michael Pammer.
Gerade im Sommer haben die Einsätze der Bergwacht zuletzt immer mehr zugenommen. „Durch das E-Bike kommen auch ungeübte Radfahrer an Stellen, die sie aus eigener Körperkraft nie erreichen könnten. Sie merken dann oft erst zu spät, dass sie sich überschätzt haben“, erzählt der Regionalgeschäftsführer. Aber auch gestürzte oder geschwächte Wanderer, Waldarbeiter-Unfälle oder Stürze im Bike-Park fordern die Hilfe der Bergwacht-Kameraden.
„Im Sommer versorgen wir verletzte Wanderer, Waldarbeiter oder Radfahrer, im Winter unter anderem Skifahrer, Touren-Geher oder Schneeschuh-Wanderer." Michael Pammer weiß, wie schnell es zu Unfällen und Stürzen kommen kann.
„Hier müssen tatsächlich oft nicht nur Knochenbrüche, sondern auch polytraumatisierte Patienten, also Schwerstverletzte, erstversorgt werden“, schildert Pammer. In den Wintermonaten sind es dann vor allem die Skifahrer, Touren-Geher oder Schneeschuhwanderer, die Hilfe brauchen.
Der Vormittag endet für Michael Pammer und die Mitarbeiter der ILS Passau an der Talstation, wo der Regionalgeschäftsführer auch noch auf die Vorzüge des Geländeeinsatzfahrzeuges der Bergwacht Bayerwald eingehen kann. Nachmittags fährt das gesamte Team zu einem privaten Gewässer in Patersdorf. Dort steht das Retten von beinah Ertrinkenden auf dem Programm. Hier sind vor allem die Wasserwacht des BRK und die Canyonretter der Bergwacht Bayerwald gefragt.