Premiere: Katastrophenschützer finden in Deggendorf eine neue Heimat

Aussteller beim Katastrophenschutz-Kongress 2023 in Weiden
Der Katastrophenschutz-Kongress ist traditionell eine große Plattform zum Austausch unter Kollegen und um sich über Neuentwicklungen zu informieren.

Der Katastrophenschutz-Kongress findet erstmals in Niederbayern statt. Auch mit dem Umzug und der 13. Auflage bieten die Veranstalter ihren Besuchern Anfang April ein breites Programm an Vorträgen, Workshops und Fahrzeug-Neuheiten. Und: Die Organisatoren mit Dieter Hauenstein an der Spitze werden mit ihren Forderungen an Politik und Gesellschaft wieder an einigen Stellen den Finger in die Wunde legen. „Uns fehlen aktuell 40 Prozent der Materialen im Zivilschutz. Das ist eine harte Nummer“, kommentiert der Bezirksbereitschaftsleiter beispielsweise das Thema „Ausstattung und Unterbringungsmöglichkeiten“.

Von Frank Betthausen

Deggendorf. Neuer Ort, gewohnt umfangreiches Programm: Vom 4. bis 6. April findet in den Stadthallen in Deggendorf der 13. Katastrophenschutz-Kongress der BRK-Bereitschaften statt. Auch mit dem Wechsel nach Niederbayern – der Termin ging seit der Premiere im Jahr 2000 immer in Weiden über die Bühne – bieten die Organisatoren den Besuchern eine Vielzahl an Vorträgen und Workshops sowie eine große Fahrzeug- und Produktschau.

Einer der Höhepunkte – die Veranstaltung ist öffentlich, interessierte Bürger können Karten dafür bei okticket erwerben (Beginn: 20 Uhr, Einlass: 19.30 Uhr) – wird der Auftritt der Kabarettistin Sara Brandhuber am Freitagabend. Sie gibt in Deggendorf eine rund zweistündige Vorpremiere ihres Programms „A scheena Schmarrn“, das sie am nächsten Tag in Landshut uraufführt.

Das Motto des Kongresses, bei dem wieder hunderte Aktive und Experten aus Deutschland und dem Ausland zum fachlichen Austausch zusammenkommen, lautet diesmal „Wissen teilen – Sicherheit stärken“. 

Er steht unter der Schirmherrschaft der CSU-Bundestagsabgeordneten Andrea Lindholz – sie vertritt die Region Aschaffenburg und ist Mitglied im Innenausschuss – und wird abermals in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz sowie dem Forschungsinstitut Rettungswesen, Notfall- und Katastrophenmanagement der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) organisiert.

„Wir gehen der Sache sehr positiv entgegen“

Die Vorbereitungen bei Dieter Hauenstein und seinem Team – an das Programm ist die 9. Ausgabe des Fachkongresses Rettungsdienst gekoppelt – laufen auf vollen Touren. 

„Wir gehen der Sache sehr positiv entgegen. Die Kooperation mit den Verantwortlichen vor Ort ist sehr gut. Wir freuen uns auf Deggendorf“, sagt der BRK-Bezirksbereitschaftsleiter über den Ortswechsel, der den Veranstaltern mehr Platz und neue Möglichkeiten beschert, gerade wenn es um die Planung der Ausstellungsflächen geht.

Die Anmeldephase ist zwar noch nicht beendet, Hauenstein geht allerdings davon aus, dass sich in Deggendorf zwischen 35 und 40 gewerbliche und ideelle Aussteller präsentieren werden.

Die Anfrage zur Schirmherrschaft an Andrea Lindholz war nach seinen Angaben eine sehr bewusste Entscheidung. Eines der großen Kongress-Themen, der Zivilschutz, ist Bundesaufgabe, weshalb es für ihn „nur logisch war“, sich prominente Unterstützung auf dieser Entscheider-Ebene zu suchen.

„Es soll klar und deutlich die Aussage rüberbringen: Wir bereiten uns auf Szenarien vor, für die wir das Wissen haben. Wir wollen mit unseren Themen keine Angst schüren, sondern Sicherheit geben und sie stärken.“ 

BRK-Bezirksbereitschaftsleiter Dieter Hauenstein

Aufbau K-Schutz-Kongress 2023 in Weiden
Dieter Hauenstein (links) und sein Team werden auch beim Aufbau in Deggendorf alles im Griff haben. Mit dem Umzug nach Niederbayern ergeben sich gerade bei der Planung des Außengeländes ganz neue Möglichkeiten.

Auch das Motto „Wissen teilen – Sicherheit stärken“ sei aus gutem Grund so gesetzt. „Es soll klar und deutlich die Aussage rüberbringen: Wir bereiten uns auf Szenarien vor, für die wir das Wissen haben. Wir wollen mit unseren Themen keine Angst schüren, sondern Sicherheit geben und sie stärken“, sagt Hauenstein.

Zum Ausdruck kommen soll all das nach den Eröffnungsreden bereits in der Podiumsdiskussion, die am Freitag zum Auftakt der Fachtage stattfindet – vor dem Gastspiel von Sara Brandhuber. 

„In der Zeitenwende – Welchen Beitrag leisten wir zum gesundheitlichen Bevölkerungsschutz?“: Zu dieser Frage tauschen sich, moderiert von Professor Dr. Peter Bradl, hochkarätige Gäste aus Politik und Blaulicht-Organisationen aus. 

Kongress-Besuch Innenminister Joachim Herrmann 2023 in Weiden
Der Katastrophenschutz-Kongress lockt seit jeher auch prominente Gäste an. 2023 besuchte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann die Großveranstaltung und hielt dort am Samstag eine Rede.

Erstmals in dieser Form und Größenordnung ist die Bundeswehr beim Kongress vertreten. Laut Hauenstein soll sie dort für einige Innovationen sorgen. „Die Bundeswehr – im Übrigen ein sehr guter, interessierter Kooperationspartner – prüft gerade, inwieweit sie in Deggendorf Zukunftstechnologien aus dem Sanitätsbereich vorführen kann“, sagt er. 

Was bereits sicher ist: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wird vor dem Veranstaltungszentrum einige seiner neuesten Fahrzeuge – allesamt Prototypen – ausstellen. 

Die Technik-Vorführungen im Freien ergänzen einen der großen inhaltlichen Schwerpunkte des Kongresses im Samstagsprogramm. Er lautet: „Die militärische und zivile Verteidigung eng verzahnt!? Wo stehen wir gerade? Welche Struktur gibt es?“. Denn: „Das sind die Themen, die uns im Moment ganz intensiv beschäftigen“, betont Hauenstein.

Und wie immer vertreten die Veranstalter hier deutliche Experten- und Praktiker-Meinungen und schreiben der Politik die eine oder andere Forderung ins Stammbuch. Dass beim Bund ein Sondervermögen für die militärische Verteidigung gebildet worden sei, nicht aber für die zivile, ist für den Bezirksbereitschaftsleiter ein Unding.

Wird das den Einsatzszenarien noch gerecht?

„Sind wir vergessen worden? Eine militärische Verteidigung allein funktioniert nicht“, betont er mit Blick auf die „ganz anderen Szenarien“, die heute – Jahrzehnte nach Beendigung des Kalten Krieges – zu bewältigen seien. 

Eines der gravierendsten Probleme, das er ausmacht: Es mangelt an Ausstattung und Unterbringungsmöglichkeiten. „Uns fehlen aktuell 40 Prozent der Materialen im Zivilschutz. Das ist eine harte Nummer“, meint Hauenstein. 

Es sei zwar viel in der Entwicklung. Aber: „Das Thema ist, dass der Bedarf vor relativ langer Zeit festgelegt worden ist und nie überdacht wurde, ob das noch zeitgemäß ist oder den Einsatzszenarien gerecht wird, die auf uns zukommen.“

Insbesondere bei der Versorgung der Einheiten besteht für den BRK-Funktionär im Zivil- und Katastrophenschutz großer Handlungsbedarf. 

„Unsere Fahrzeuge sind 20 oder 25 Jahre im Dienst. Das ist zu lang, weil sich die Technik immer schneller verändert. Hier sind die entsprechenden Konzepte zu überprüfen. Unsere Forderung ist klar und deutlich, am Puls der Zeit zu bleiben, damit wir nicht überall veraltete Fahrzeuge auf dem Hof stehen haben“, sagt Hauenstein.

Die Auslieferung muss nach seiner Auffassung ebenfalls „dringend besser getaktet werden“. Um Einheiten tatsächlich einsatzklar zu machen und zu halten, müssten Fahrzeuge miteinander kommen und miteinander ausgewechselt werden.

„Wir haben das Personal und bilden aus, verfügen aber oft nur über 50 Prozent des Materials. Was nützt der Gerätewagen Sanität, wenn der Mannschaftstransportwagen dazu fehlt? Hier muss der Staat dafür sorgen, dass wir auch zum Einsatz kommen“, fordert der Bezirksbereitschaftsleiter.

Die Herausforderungen für die Katastrophenschützer vor Ort schließen dabei – ein weiteres großes Thema in Deggendorf – für Hauenstein den Klimawandel und die immer häufiger auftretenden Wetterextreme „ganz fest“ mit ein. „All das geschieht in einer Zeitfrequenz, die wir vorher nicht gekannt haben“, sagt er.

„Wir sind an den Kollegen aus Spanien dran, um mit jemandem von dort zu beleuchten, welche Erkenntnisse das Rote Kreuz und die Hilfsorganisationen nach der fürchterlichen Flutkatastrophe 2024 gewonnen haben.“ 

BRK-Bezirksbereitschaftsleiter Dieter Hauenstein

Zu diesem Themenbereich werden in Deggendorf drei Experten aus dem Ausland zu Wort kommen. Landesrettungskommandant Wolfgang Frühwirt aus Niederösterreich wird seinen Zuhörern eine große Flächenlage nach den dortigen Starkregen- und Flutereignissen schildern. 

Mit Vivian Moy aus New York fliegt eine Vertreterin des Amerikanischen Roten Kreuzes ein, um über Hurricanes und deren verheerende Folgen für riesige Landstriche zu referieren. 

Und: „Wir sind an den Kollegen aus Spanien dran, um mit jemandem von dort zu beleuchten, welche Erkenntnisse das Rote Kreuz und die Hilfsorganisationen nach der fürchterlichen Flutkatastrophe 2024 gewonnen haben“, berichtet Dieter Hauenstein, der beim Thema „Klimatische Veränderungen“ nicht zuletzt die Kommunen gefordert sieht.

Bei Hitzeperioden von 40 Grad über ganze Sommerwochen hinweg werde sich die Gesellschaft in Zukunft über Trinkwasserprobleme und Wasserverteilungsthemen unterhalten müssen. „Auch die Gemeinden müssen sich darauf vorbereiten. Da stehen wir gerne als Partner bereit. Denn: Wir haben die Fachkräfte und die Spezialressourcen“, zeigt der BRK-Vertreter auf.

Sicherheitskonzepte im Fokus

Ein Thema, das Anfang April ebenfalls intensiv beleuchtet wird, ist der Bereich Sicherheit bei Großveranstaltungen. Dabei geht es um eine ganze Reihe an Fragen, die vor allem die Vorplanung betreffen.

Etwa: Wie überprüfe ich das Sicherheitskonzept eines Veranstalters? Oder: Wie mache ich eine Gefahrenanalyse? Außerdem: Wie erkenne ich, dass es gleich zu einer Massenpanik kommt und berechne eine Verdichtung? Beziehungsweise: Welche Fluchtwege brauche ich und ist ausreichend Ausweichfläche vorhanden? 

„Sicherheit ist nicht alleinige Aufgabe der Polizei und der Security. Das sind Gewerke, die ineinander greifen müssen“, erklärt Hauenstein. Nach seinen Worten werden mit Georg Geczek und Alexander Gratz am Veranstaltungssamstag zwei Vertreter des Österreichischen Roten Kreuzes ihre Erfahrungswerte mit den Kongressgästen teilen. 

„In unserem Nachbarland sind die Verantwortlichen bei den genannten Themen schon wesentlich weiter – etwa in der Ausbildung“, sagt der Bezirksbereitschaftsleiter.

Fahrzeuge Bergwacht Kongress in Weiden 2023
Zwischen 35 und 40 gewerbliche sowie ideelle Aussteller werden sich Anfang April präsentieren. Natürlich stellen auch die Rot-Kreuz-Gemeinschaften ihre Arbeit und ihren Fuhrpark vor.

Ein weiterer großer Komplex betrifft den Bereich Ehrenamt und Nachhaltigkeit. Auch hier schwingen viele Fragen mit, die Hauenstein und sein Orga-Team in Deggendorf diskutieren lassen möchten. „Ist ein Aufwuchssystem vom Rettungsdienst bis zum Zivilschutz ohne Ehrenamt überhaupt machbar?“, lautet eine davon. 

Dabei wird es ganz entscheidend um die weit verbreitete Doppelverwendung von Einsatzkräften gehen. „Die sind beim THW, bei der Feuerwehr und arbeiten am Schluss noch in der kritischen Infrastruktur. Wo müssen die im Ernstfall hin? Da muss uns auch der Gesetzgeber helfen – etwa bei der Helfergleichstellung. Hier müssen gleiche Bedingungen für alle gelten“, meint Hauenstein.

Darüber hinaus drehen sich die Vorträge, Diskussionen und Gespräche um die persönliche Betroffenheit von Ehrenamtlichen bei extremen Lagen. 

Stehen den Organisationen ihre Kräfte im Fall X überhaupt zur Verfügung? Speziell bei Einsätzen, die große Gefahren bergen… Spielen die Familien mit? Und welche psychische Belastung kommt auf die Freiwilligen zu? All diese Punkte möchten die Kongress-Veranstalter anreißen.

Erfahrungen aus dem Gazastreifen

Abgerundet wird das Vortragsprogramm durch Erfahrungsberichte von ehrenamtlichen Rot-Kreuz-Angehörigen, die an globalen Krisenherden gefordert waren – etwa im Gazastreifen.

„Was bedeutet ein Einsatz in einem Kriegsgebiet für uns? Welche Erkenntnisse nehmen wir mit, die wir in unsere Planungen einfließen lassen können?“, lauten bei diesem Thema für Dieter Hauenstein Leitgedanken. Bis hin zur Frage, „was sich auf Bundesebene ändern muss, um uns in die Lage zu bringen, so etwas zu bewerkstelligen“. 

Und natürlich gehen der 55-Jährige und sein Team auch an anderer Stelle mit der Zeit und thematisieren in Deggendorf den Bereich der Forschung und der Künstlichen Intelligenz.

„Wir wollen beleuchten, wie wir uns großflächige Lagen in Zukunft zentral darstellen lassen können, welche KI wir verwenden und was auf diesem Gebiet bereits möglich ist“, erläutert Hauenstein.

Damit ist klar: Der 13. Katastrophenschutz-Kongress findet nicht nur an einem neuen Ort statt, er wendet sich auch gänzlich neuen Herausforderungen zu – mit gewohnt umfangreichem Programm…

Unterstützen Sie jetzt ein Hilfsprojekt mit Ihrer Spende