Ein Tag zum fachlichen Austausch und um Ideen zu sammeln
Seit dem 1. Juli 2023 gelten bundesweit in allen stationären Pflegeeinrichtungen einheitliche Personalanhaltswerte. Das Bayerische Rote Kreuz nimmt sich der aktuellen Herausforderungen an und geht mit einem Pilotprojekt, an dem zehn ausgewählte Häuser teilnehmen – darunter die Heime des Bezirksverbands Niederbayern/Oberpfalz in Neumarkt und das Seniorenzentrum Deggendorf –, neue Wege in der Personalbemessung. Bei einem Fachtag der Abteilung Senioren & Pflege der BRK-Landesgeschäftsstelle kamen in Weiden rund 150 Teilnehmer zusammen, um aus Workshops, Vorträgen und Best-Practice-Beispielen viele Anregungen mit nach Hause zu nehmen.
Von Eva Rothmeier
Weiden. Der Projektname „§113c SGB XI Personalbemessung (PeBeM) im BRK“ ist sperrig, das Ziel allerdings ist revolutionär: Soll es doch die personelle Ausstattung in den Pflegeeinrichtungen deutlich verbessern, der Berufsflucht entgegenwirken, Pflegekräfte in den Beruf zurückholen und neue Mitarbeitende und Auszubildende gewinnen.
Kernpunkt ist die Aufhebung der bisherigen Fachkraftquote und die verstärkte Fokussierung auf die Pflegegrade der Bewohnerinnen und Bewohner. Knapp ein Jahr nach Beginn des von der Glücksspirale geförderten Projekts sollte auf einem Fachtag in Weiden für alle sichtbar gemacht werden, was bislang in den zehn teilnehmenden Häusern im Freistaat erreicht und angestoßen werden konnte.
„Wenn es um das BRK geht, denken viele zuerst an Blaulicht, dabei schaffen wir auch in der Pflege einen ebenso großen Nutzen für die Menschen.“ Stellvertretender BRK-Landesgeschäftsführer Armin Petermann
Wie wichtig das Thema ist, bestätigte auch der stellvertretende BRK-Landesgeschäftsführer Armin Petermann. „Wenn es um das BRK geht, denken viele zuerst an Blaulicht, dabei schaffen wir auch in der Pflege einen ebenso großen Nutzen für die Menschen. Deshalb ist es auch so wichtig, bei den aktuell erschwerten Rahmenbedingungen nach neuen Lösungen für qualifiziertes Personal zu suchen und durchgängig gute Arbeitsbedingungen zu bieten“, sagte er in seinem Grußwort.
Pflegefachkräfte sollten wieder mehr pflegen und andere Aufgaben delegieren. Von der Personalbemessung könnten alle Mitarbeitenden in den Einrichtungen profitieren, da diese für Rollenklarheit sorge. „Die Fachtagung bietet die beste Gelegenheit, von den Erfahrungen der anderen zu profitieren und schlaue Lösungen für sein Haus zu finden“, betonte Petermann.
Eine nachhaltige Verbesserung
Projektleiterin Nelleke Jakob forderte die Teilnehmer in ihrem Impuls-Vortrag dazu auf, den Tag zum Austausch zu nutzen. „Es sind herausfordernde Zeiten, deshalb müssen wir jetzt anfangen, neu zu denken“, sagte sie. Am Gesetz könne nichts mehr geändert werden, aber man könne hier und heute schauen, was andere besser machen, und daraus lernen.
Am Ende zitierte Nelleke Jakob Brigitte Meyer, Vizepräsidentin des BRK, die die Schirmherrschaft des landesweiten Projekts innehat und dieses als Riesenchance sieht, um die Situation der Mitarbeitenden nachhaltig zu verbessern. „Wir müssen wissen, was die Menschen brauchen, um dabei zu bleiben. Personalbindung ist absolut wichtig“, betonte die Projektleiterin.
Anschließend gab Tino Wiefel, Projektleiter PeBeM bei der Unternehmensberatung Contec GmbH, einen Einblick, wie die Personalbemessung als Motor für Veränderung und Entwicklung in der Pflege genutzt werden kann. Die Contec GmbH begleitet und betreut bundesweit zehn am Projekt teilnehmende Häuser bei der Umsetzung ihrer Konzepte in die Praxis.
Ein langwieriger Prozess
Wiefel schilderte diesen langwierigen Prozess in Anlehnung an die Besteigung eines Berges. „Zu Beginn befinden sich alle im Basecamp und es gibt verschiedene Möglichkeiten für den Aufstieg“, sagte er. Eine Projektgruppe in der Einrichtung müsse deshalb analysieren, wo man genau stehe und wo man wie hinwolle. Mit ersten genauen Ergebnissen und Analysen aus den zehn Einrichtungen rechnet der Contec-Projektleiter so frühestens Ende des Jahres.
Der Vormittag klang mit einem Vortrag von Marcus Maier, Geschäftsführer des Münchner „Damenstifts“, aus, der den Weg seiner Einrichtung in Sachen PeBeM schilderte und wie sein Vorredner dafür das Bild der Bergbesteigung nutzte. „Unser Ziel ist es, unsere Bewohnerinnen adäquat zu versorgen, unsere Mitarbeiter nach ihren Qualifikationen einzusetzen und ein attraktiver Ausbildungsbetrieb und Arbeitgeber zu sein“, sagte Maier.
Wichtig war den Verantwortlichen des „Damenstifts“ bei der PeBeM von Anfang an, die Mitarbeiter in so eine große Veränderung bestmöglich zu involvieren. So wurde die Einrichtung beispielsweise im vergangenen Jahr in zwei Häuser mit je 88 Plätzen umstrukturiert, die von zwei Teamleitungen geführt werden.
„Eine adäquate Versorgung unserer Bewohnerinnen gelingt so schon heute und alle unsere Mitarbeiter leisten vernünftige Arbeit“, betonte Maier. Fehler seien normal, daraus müssten einfach die richtigen Schlüsse gezogen werden. Denn schließlich solle jeder Mitarbeiter die Chance erhalten, sich weiterzuentwickeln.
Für jeden Mitarbeiter eine klare Definition
„Von vielen unserer Angestellten kennen wir weder ihre Kompetenzen noch ihre Präferenzen. Meist wissen wir nur, was sie immer falsch machen“, erklärte der Geschäftsführer. Und da es nicht möglich sei, alle auf ein bestimmtes Qualifikations-Niveau zu bringen, müsse es für jeden Mitarbeiter eine klare Definition von individuell erreichbaren Zielen geben. Allerdings müsse man immer auch bedenken, dass nicht alle gewillt sein werden, diesen Weg mitzugehen.
Aktuell werde in der Einrichtung die Schaffung von zwei neuen Stellen geplant, die aber bewusst außerhalb des Organigramms eingeordnet werden sollen. Diese Beschäftigten sollen sowohl neue als auch alte Mitarbeiter begleiten und entwickeln und eine enge Zusammenarbeit mit der pflegerischen Leitung sowie der Bildungsreferentin unterhalten.
Sie tun alles für die „Erklimmung des Gipfels“
Ob der „Damenstift“ mit seinem Konzept sowohl personalbezogen und qualitätsbezogen als auch wirtschaftlich Erfolg haben werde, konnte und wollte Marcus Maier bei der Fachtagung noch nicht beantworten. Man wolle sich auf jeden Fall die nötige Zeit dafür geben und alles für die Erklimmung des Gipfels tun.
„Bei uns hat sich seit Beginn einiges in Sachen Personaleinsatz und Aufgabenverteilung getan, aber es ist immer gut, zu sehen und hören, was die anderen machen.“ Jens Küneth, Einrichtungsleiter aus Neumarkt
Der Nachmittag des Fachtags stand im Zeichen der Workshops und Best-Practice-Beispiele – unter anderem aus dem Seniorenzentrum Deggendorf.
Jens Küneth, Leiter der beiden Pflegeinrichtungen des Bezirksverbands in Neumarkt, zeigte sich begeistert von den Anregungen, die er von diesem Fachtag mitnehmen konnte. „Das Pflegeheim in Neumarkt ist ja einer der zehn Projektteilnehmer. Bei uns hat sich seit Beginn einiges in Sachen Personaleinsatz und Aufgabenverteilung getan, aber es ist immer gut, zu sehen und hören, was die anderen machen“, sagte Küneth. Der Austausch sei wichtig, um Wissen aufzufrischen und zu vertiefen, zog er ein durchweg positives Fazit.
Drei Fragen an Projektleiterin Nelleke Jakob:
Was ist seit Projektbeginn in den Pflegeeinrichtungen passiert?
Zunächst wurden eine Projektstruktur etabliert sowie eine Projektsteuerungsgruppe und eine einrichtungsinterne Projektgruppe gegründet. In allen Einrichtungen fanden Kick-Off-Veranstaltungen statt, um allen Mitarbeitenden die Zielsetzung und Vorgehensweise des Projekts bekanntzugeben.
Die Projektgruppen treffen sich regelmäßig, um den Fortschritt zu besprechen und zu monitoren. Auch individuelle Coachings durch den Projektpartner fanden in den Einrichtungen statt, und zwei bis drei Pflegefachkräfte aus fast allen Einrichtungen haben an der Weiterbildung zum Care-Koordinator teilgenommen, um die theoretischen Inhalte einer kompetenz- und beziehungsorientierten Pflege zu erlernen und in der Praxis einzuführen und umzusetzen.
Was ändert sich durch das Projekt konkret für die tägliche Arbeit der Pflegekräfte?
Konkret werden sich die Pflege- und Versorgungsabläufe dahingehend ändern, dass Pflegende entsprechend ihrem Qualifikationsniveau Aufgaben kompetenzbezogen übernehmen sollen. Dies soll sowohl die Über- als auch die Unterforderung der Pflegefachkräfte verhindern. Daneben werden die erwähnten Care-Koordinatoren den Pflege- und Betreuungsprozess einschließlich der Kommunikation mit Schnittstellen, Angehörigen, Ärzten, Therapeuten und weiteren an der Versorgung Beteiligten übernehmen und strukturieren.
Dazu gehört auch, bei der Pflegeplanung festzulegen, welche Tätigkeiten von welchem Qualifikationsniveau durchgeführt werden.
Kann mit dem Projekt tatsächlich dem Pflegepersonalmangel entgegengewirkt werden?
Die PeBeM sorgt im besten Fall dafür, dass Pflegepersonalstellen erhöht werden, was zur Entlastung des vorhandenen Personals führen kann. Die kompetenzorientierte Pflege und Betreuung der Bewohner setzt auf die Stärken der Pflegenden und sorgt dafür, dass bei diesen weniger Über- oder Unterforderung entsteht. Eine beziehungsorientierte Pflege und Betreuung schafft und stärkt das Vertrauen zwischen den Bewohnern, Angehörigen und Pflegenden.
Allerdings kann die Personalbemessung nicht alle Probleme in der Pflege lösen. Sie kann nur ein Baustein der Problemlösung sein, denn es gilt, die Pflege weiter zur professionalisieren. Die Akademisierung, die es in vielen Ländern seit langem gibt, sollte auch in Deutschland weiter vorangetrieben werden.